Der Mann, der niemals sprach

Es war einmal ein Mann, der nie sprach! Alle fanden ihn sehr sonderbar, und sie wussten nicht so recht, wie sie ihn sehen sollten. Auch schien es, als ob er den ganzen Tag nichts tat, und so waren sie sich nicht ganz sicher, ob er faul war. Aber niemand fand seine Anwesenheit unangenehm. Er war wie eine Sage, von der man nicht wusste, ob sie wirklich war oder nicht.

Oft saß er unter einem Baum an einem schattigen Platz und hatte seine Augen geschlossen. Dabei hatte er ein Lächeln im Gesicht, als würde ihm jemand eine wundervolle Geschichte erzählen. Er war nicht groß und seine Statur war eher schmächtig und er hüllte sich gerne in einen weißen Umhang, der nie schmutzig zu sein schien, obwohl er oft auf der blanken Erde saß.
Niemand konnte sich erinnern, wann er in das Dorf gekommen war, es war, als ob er schon immer dort lebte. Man lies ihn in Ruhe, man wunderte sich nur gelegentlich über ihn, wie er da so friedlich da saß und nicht sprach.
Doch gab es in diesem Dorf ein Kind, Mila, ein kleines zartes Mädchen, die den ganzen Tag träumte und ihre geträumten Geschichten im Dorf erzählte. Sie war davon überzeugt, dass ihre Träume wahr waren, denn sie erlebte sie ja schließlich. Die Menschen freuten sich über ihre Geschichten, auch wenn sie wussten, dass sie alle nur Träume eines kleinen Kindes waren. Das Mädchen und der Mann, von dem niemand wusste wie er hieß und der nie sprach, hatten eins gemeinsam. Sie liebten es allein zu sein. Stundenlang konnte Mila einen Stein betrachten und sich dann ein Spiel ausdenken, das um diesen harten Brocken rankte.
Eines Tages war es Mila im Dorf zu geschäftig und so beschloss sie, einen ruhigen Platz außerhalb zu suchen, um sich dort in ihr Spiel zu vertiefen. Der Weg war schon eine Geschichte, denn sie erzählte sich, dass sie in die Welt zog, um in ein fremdes Land zu gehen, bereit für alle Abenteuer! So schaute sie sich staunend mit weit geöffneten Augen und einem freudigen Lächeln um und sah eine Welt, die sie noch nie gesehen hatte! Ein Ameisenhaufen wurde zu einer Stadt, in der alle fleißig waren. Dort grüßte man einander freundlich, beschenkte sich mit kleinen Blattstückchen, bei jeder Begegnung und es schien keinem etwas zu fehlen! Was für ein wundervolles Volk, dachte sie und freute sich über so viel Güte, die sie miteinander teilten. Aus der Ferne sah sie einen großen Baum, zu dem sie reisen wollte. Mächtig wie ein Berg und sie freute sich schon auf diesen Berg zu steigen und dort auf dem Gipfel die Aussicht auf das Land zu genießen. Doch wollte sie nichts auf ihrem Weg versäumen und so hatte sie alle Zeit der Welt, alles zu sehen und in ihre Geschichte einzuweben, wie ein Weber achtsam das Garn auswählt um einen wunderschönen Teppich herzustellen. Endlich am Baum angekommen, neugierig und aufgeregt, aber auch etwas erschöpft von dem langen Weg, wollte sie sich erst einmal ausruhen, denn es stand ihr ja noch eine große Klettertour bevor!
Gerade als sie sich setzen wollte, bemerkte sie, dass dort im Schatten schon jemand saß! Es war der Mann aus dem Dorf, der nie sprach. Mila lugte um den Baum, während sie sich ihm mit kleinen, zögerlichen Schritten näherte. Auch sie wusste nicht so recht, was er zu bedeuten hatte. Und so wob sie ihn in ihre Geschichte ein, wie alles andere, als einen schlafenden Riesen, den man auf keinen Fall wecken dürfte, denn das mochten Riesen nicht und konnten dann sehr muffelig werden!
Er hatte seine Augen geschlossen und lächelte..wie immer. Mila stand vor ihm und schaute ihn neugierig an. Er faszinierte sie, konnte aber nicht sagen, was es war. Es fühlte sich einfach nur gut an, vor ihm zu stehen und sein Lächeln anzuschauen und sie lächelte ebenso! Sie war nicht ganz sicher, was sie tun sollte, denn ihren Füßen war es nach einer kleinen Pause. Aber in der Sonne war es zu warm und es gab sonst kein schattiges Plätzchen weit und breit…nur unter diesem Baum. Sie überlegte kurz, während sie sich umsah, um ein anderen Platz zu finden, konnte aber keinen ausmachen und so setzte sie sich dann doch unter den Baum, noch im Schatten aber mit einem etwas größerem Abstand, denn der Baum hatte einen riesigen Stamm, den 5 Mann mit ausgestreckten Armen vielleicht gerade so hätten umfassen können.
Ganz leise setzte sie sich hin, versicherte sich noch einmal, dass der Riese noch schlief und schloss dann selbst ihre Augen. Sie nickte etwas ein, denn ihr kleiner Körper war müde geworden, aber ihr Geist spann sich weiter ihre Geschichten und so träumte sie einfach ihr Abenteuer weiter. Als sie von einem Elefantenrücken herunter rutschte und auf den Boden purzelte, wachte sie auf und ihre Augen öffneten sich, als hätte jemand an ihren Augenlidern gezogen! So fiel ihr wieder ein, neben dem Mann eingeschlafen zu sein, der niemals sprach, und schaute sich nach ihm um. Dieser saß immer noch da, doch jetzt mit offenen Augen und schaute sie mit seinem sanften Lächeln an.
Mila erschrak ein bisschen über ihre eigene Geschichte, die sie sich erzählt hatte, dass er ein Riese war, den man nicht wecken dürfte, weil er dann zornig werden könnte.
Der alte Mann bemerkte ihren verschreckten Blick, lächelte und nickte freundlich! „Es ist alles gut!“, sagte er. Sie schaute ihm tief in seine stahlblauen Augen, die so klar waren, wie das Wasser einer frischen Gebirgsquelle. Und Mila war sogleich besänftigt und fühlte sich so erfrischt und lebendig, als hätte sie einen Schluck aus eben dieser Quelle genommen! Sie lächelte ihn an und sagte verwundert: „Ich kenne dich! Du bist der sonderbare Mann aus der Stadt und du hast noch nie etwas gesagt! Ich dachte, du kannst gar nicht sprechen!“ Da lachte der Alte, denn er fand ihre Ehrlichkeit so bezaubernd, dass sie ihn „sonderbar“ genannt hatte. „Ich halte nicht viel von Worten, weißt du“, sagte er und sein Gesicht sah in Mila‘s Augen aus, wie eine zarte rosarote Wolke. Mila war ein wenig verlegen, denn ihr wurde bewusst, dass sie ihm die Wahrheit gesagt hatte, und wollte ihn nicht wirklich verletzen! „Es ist alles gut“ wiederholte er und fuhr fort: „Siehst du, das meine ich! Da sagt man etwas und dann kann es schon wieder nicht richtig gewesen sein! Aber mach dir keine Gedanken darüber, denn ich kenne dich und ich weiß, dass du nur gut bist und in allem Gutes siehst!“ Die Kleine machte große Augen, schaute den Mann etwas verunsichert an, stierte dann verschämt auf den Boden und stammelte leise: „Naja, also immer bin ich nicht gut. Ich hab neulich die Blumenvase von meiner Mama umgeworfen, als ich auf der Fensterbank saß und aus dem Fenster geträumt habe. Dabei ist sie zu Bruch gegangen. Mama war verärgert mit mir.“ Und wieder lachte der Mann, der nie sprach! Er schaute sie an, wie man ein kleines Babykätzchen betrachtet, dass noch in eine Hand passt! „Das ist doch nicht böse! Das sind kleine Fehler, wenn überhaupt! Und was ist schon eine Vase?“ „Es war Mama‘s Lieblingsvase“, ergänzte sie fast flüsternd und beschämt. „Es ist längst vorbei und was vorbei ist, darüber muss man sich nicht sorgen! Das ändert nichts daran, dass du gut bist! Und das weiß auch deine Mama. Sie ist auch gut!“ „Ja, das ist sie und ich hab sie auch so sehr lieb!“ antwortete sie, hob dabei ihren Kopf und schaute den Mann an, der niemals sprach, und sie lächelte ihn erleichtert an. Einen kleinen Augenblick verschmolzen sie mit ihrem Lächeln miteinander und sie fühlten sich dabei so frei!
Aber sag mir, was machst du so weit weg von zu Hause, hier bei diesem Baum?“ wollte der alte Mann wissen. „Oh, mir war das Dorf zu laut und ich konnte dort keine neue Geschichte finden! Meine schönsten Geschichten erlebe ich, wenn es still ist!“ sprudelte es aus ihr heraus. „Oh ja, das kann ich verstehen! Ich mag die Stille auch sehr gerne! So gerne, dass ich nicht einmal sprechen möchte!“ sagte er, und Mila fühlte, wie es ihn ein wenig anstrengte, Worte zu gebrauchen.
Ich habe von weitem diesen Baum gesehen und ich wollte auf ihn hinauf klettern. Weißt du, das ist eigentlich ein Berg und ganz oben auf der Spitze kann man die ganze Welt sehen!
Oh, das ist ja eine ganz wundervolle Geschichte! Wollen wir sie gemeinsam wahr machen?“ Mila machte nicht oft die Erfahrung, dass ein Erwachsener ein Teil ihrer Geschichte werden wollte und rief überrascht und jauchzend aus: „Au ja gerne! Willst du der Riese sein?“ Und wieder musste der schweigsame Mann lachen und nickte.
Also“, erklärte Mila, „das ist ein Berg, der ist noch von Niemandem bezwungen worden ist. Nur die Adler können da auf der Spitze sein, weil sie ja fliegen können! „Und was ist meine Rolle in deinem Traum?“ fragte der angehende „Schauspieler“. Mila überlegte, sie schaute in den Himmel, als wäre die Antwort in den Wolken zu finden und kratzte sich am Kinn. Dann plötzlich klarte sich das kleine Gesichtchen auf und es strahlte voller Freude: „Du bist der Riese, der mir helfen will, zum Gipfel zu kommen! Riesen sind ja kräftig und groß und sie sind gar nicht muffelig, sie sind, wenn man sie nett bittet, Riesen mit riesengroßen Herzen!“ beschloss sie, denn so hatte sie den Riesen ja jetzt kennengelernt! „Gut“, sagte der „Riese“ und war einfach nur darüber berührt, wie sie ihn in ihre Geschichte einbaute. Wie sie gerade dabei waren, aufzustehen, gab es ein lautes Rumpeln hinter ihnen, die Erde wackelte und der Riese nahm geschwind das kleine Mädchen hoch in seinen Arm, um es vor kleinen herunter purzelnden Steinen zu schützen, als der Berg begann, sich mächtig aufzutürmen! Mila staunte nicht schlecht, als sie sich in den riesigen Armen des Riesen wiederfand und auf einmal sehr weit weg vom Boden war! Es war, als säße sie auf einem Aussichtsturm! Was für ein Abenteuer, ihre Backen leuchten ganz rot vor Aufregung und ihre Ohren bekamen von den Mundwinkeln Besuch, so sehr freute sie sich! Und der Riese wiederum freute sich über die Freude von Mila und sein Strahlen schien in die Welt zu leuchten!
Die Erde beruhigte sich und es wurde auch so ganz still! Sie drehten sich um und da stand er nun, der Berg, riesengroß und unüberwindbar, für einen kleinen Augenblick.
Mila‘s Augen wurden zu großen Kugeln, den Mund weit aufgerissen, erstaunt über diesen Anblick! Der Riese setzte sie wieder sanft auf die Erde und klopfte den Staub von ihren Kleidern ab, der sich auf sie legte, als der Berg entstand.
Mila konnte kaum glauben, das dort nun wirklich ein Berg war, so wie sie ihn sich vorgestellt hatte, unüberwindbar! Und nun kamen in ihr doch Zweifel auf, wie sie ihn bezwingen sollte! Sie schaute den Riesen fragend an und sie musste sehr weit nach oben schauen, damit sie sein Gesicht sehen konnte. „Oh“, sagte sie, „der ist aber ganz schön unüberwindbar!“ Und ihr Blick sah nicht mehr ganz so zuversichtlich aus. Doch der Riese kannte diesen Ausdruck und er strich der kleinen Mila mit seinen riesigen Händen, ganz sanft über den Kopf. „Du hast doch mich!“ Und ein sanftes Lächeln lächelte auf sie herunter, während er seinen Kopf leicht zur Seite neigte.
Ja, gut, dass ich dich gefunden habe lieber Riese! Ohne dich wäre das wohl sehr sehr gar nicht zu schaffen!“ Über die Wahl ihrer Worte musste der Riese lachen. „Nun, ich schlage vor, das ich vor dir gehe, damit ich alle Hindernisse für dich aus dem Weg räumen kann und du mir ganz leicht auf den Gipfel folgen kannst! Weißt du, ein Riese kann das und nur das will er tun, weil er so ein riesengroßes Herz hat.“ Mila atmete erleichtert auf und sie fand seine Idee ganz gut, obwohl sie ja auch eine Heldin sein wollte! Und als ob er gewusst hätte, was sie dachte, fügte er rasch hinzu: „Du wirst eine Heldin sein, denn niemand vor dir, hat es je gewagt, auf diesen Berg zu klettern!“ Jetzt grinste sie wieder und freute sich über diese Worte!
So nahm der Riese sie wieder auf den Arm, denn sie hätte so viele kleine Schritte machen müssen um mit dem Riesen Schritt halten zu können. Sie fühlte sich großartig auf den Armen und auch sicher. So schauten sie auf den Berg, dessen Gipfel unter Wolken verborgen war und sein Geheimnis nicht Preis geben wollte. Und so hielten sie auch Ausschau nach einem Weg, der das Unmögliche möglich machte. „Hier, schau Mila“, sagte der Riese und deutete mit seinem riesigen Finger auf einen kleinen Felsvorsprung. „Hier beginnt unser Weg, siehst du?“ „“Ja, genau, hier beginnt er! Es sieht fast so aus, als ob da eine Treppe wäre!“ schoss es mit voller Begeisterung aus ihr heraus! Mila wollte erst selbst versuchen, auf den Vorsprung zu kommen. Sie mühte und plagte sich kurz, bis der Riese, ohne das sie es merkte, mit seiner Hand einen Tritt bot, der ihr den nächsten Schritt ermöglichte. Mila aber glaubte, sie habe es allein geschafft und war mächtig stolz auf ihre Leistung und der Riese lies sie in dem Glauben, lächelte und versicherte ihr, was sie doch für ein erstaunliches Kind sei! Der Riese hatte kein Problem auf den Absatz zu kommen, wo Mila bereits stand und so wie er es vorgeschlagen hatte, ging er den Weg voran, dem sie dann folgen sollte! Der Riese räumte tatsächlich alles aus dem Weg, was Mila‘s Aufstieg hätte gefährden können und ging nur so schnell, wie sie folgen konnte. Und da, wo sie noch ein Hindernis sah, das der Riese für sie nicht wahrgenommen hatte, reichte er ihr die Hand, gab ihr wieder Halt, so das sie es nicht merkte, denn sie sollte ja eine Heldin sein, wenn sie dort oben angekommen waren!
Sie waren weit gekommen. Nun standen sie unter den Wolken, die den Gipfel zudeckten und ihn geheimnisvoll umhüllten. Milas Füße taten schon ein wenig weh und so fragte sie den Riesen, ob sie wohl eine kleine Pause machen könnten. Der Riese, der noch so frisch aussah, wie sie gestartet waren, willigte ein und setzte sich auf einen großen Stein, nahm sie auf seinen Schoß und hielt sie gut fest. So saßen sie da, friedlich und sich ausruhend und waren einfach nur still. Ihre Augen vielen zu, denn Mila war sehr erschöpft, hatte sie ja wirklich auch alles gegeben um bis hier her zu kommen! Der Riese hielt sie fest in seinem Arm, schaute voller Liebe auf dieses kleine entzückende Wesen, das wie ein Engel aussah, mit geschlossenen Augen und einem friedlichen Lächeln. Sie schmiegte sich an seinen Arm, der sie sicher und warm hielt. Der Riese hatte alle Zeit der Welt und so wartete er geduldig auf Mila‘s erwachen.
Die kleinen Augen öffneten sich verschlafen und sie erinnerte sich, dass sie auf dem Berg war, mit einem Riesen! Sie sah auf die dichte Wolkendecke und ihre Abenteuerlust wurde von Unmut abgelöst! „Ach lieber Riese, ich bin noch so erschöpft, und der Weg ist noch so weit! Ich weiß nicht, ob ich das noch schaffen kann!“ „Du kannst doch gar nicht wissen, wie weit es noch ist, du siehst doch nur auf Wolken! Außerdem hast du doch die Geschichte erfunden, dann kannst du sie doch auch ändern, oder nicht?“ bestärkte sie der Riese. Mila überlegte kurz. Denn sie wollte einerseits gerne die Heldin sein in ihrer Geschichte, auf der anderen Seite fühlte sie sich schwach, müde und ein wenig mutlos. Der Riese fühlte ihre Mutlosigkeit und wusste was zu sagen war. „Weißt du, wir sind alle Helden! Es geht nicht darum, ein bedeutungsloses Ziel zu erreichen! Es geht darum, sich auf den Weg zu machen! Das macht einen wahren Helden aus dir!“ Und so veränderte er ihre Geschichte für sie unmerklich indem er hinzufügte: „Lass uns noch 3 Schritte machen und wenn wir dann nicht am Gipfel sind, dann kehren wir einfach um! Wir können doch jetzt nicht aufgeben, wir wissen ja gar nicht, wie nahe wir unserem Ziel schon sind! Lass uns durch die Wolken gehen und schauen, wie es darüber aussieht!“ Mila staunte über die Worte, denn dann war sie ja schon die Heldin, die sie immer sein wollte! Und das machte ihr Mut, noch ein paar Schritte weiter zu gehen und so willigte sie ein. Der Riese nahm sie wieder sachte von seinem Schoß, und stellte sie auf ihre kleinen wackeligen Beine. Dabei hielt er sie noch fest an seiner Hand, damit er sie führen konnte. So ging der Riese voran und achtete noch sorgfältiger darauf, dass Mila einen leichten Weg haben würde. Es dauerte tatsächlich nicht lange, bis sie die Wolkendecke durchbrachen und wärmende Sonnenstrahlen auf sie fielen und den Gipfel in ein goldenes Licht tauchte! Sie waren da! Auf dem Gipfel! Mila und der Riese tanzten auf dem kleinen Plateau vor Freude! Aller Schmerz und Unmut verschwanden und sie lachten miteinander, einfach vor Freude, es nun doch geschafft zu haben! Dann setzten sie sich wieder hin, Mila kletterte auf seinen Schoß, legte ihren Kopf auf seine Brust und seufzte tief! „Danke, lieber Riese, dass du mir Mut gemacht hast, weiter zu gehen! Was für eine schöne Aussicht! Und ich musste es nicht alleine schaffen!“ Sie schaute ihm in seine Augen, die voller Berührung und Freude glitzerten und funkelten über die Dankbarkeit, die sie ihm entgegen brachte!
Mila sog diesen Augenblick in sich auf, wie ein ausgetrockneter Schwamm und fühlte eine Verbundenheit, die sie nie gefühlt hatte, mit allem, auch dem Riesen! Sie nahm einen Finger seiner Hand, denn die Hand war viel zu groß! Und auch der Riese konnte all das fühlen. Ländergrenzen gab es keine und auch keinen Namen, der ein Land vom anderen trennte. Es war einfach nur eine große Welt, die allen gehörte und die Sonne leuchtete mit ihren Strahlen auf alles gleichermaßen! So friedlich und still wie sie da saß, nahm sie jetzt alles in sich auf und füllte ihr Herz damit! Es schien ihr, als könnte die Freude über dieses Abenteuer ihr Herz zum platzen bringen, so voll war es.
Am liebsten wären sie dort für alle Ewigkeit gesessen. Langsam legte die Sonne ihr warmes, in allen verschiedenen Rottönen getauchtes Licht auf das Land, und lies es fast unwirklich erscheinen. „Ich denke, es ist Zeit zurück zu gehen, meine kleine Heldin Mila!“ sagte er mit sanfter Stimme. „Ja, es wird wohl Zeit“ seufzte sie noch ein letztes Mal und stellte sich auf ihre müden Beine. Die „Heldin“ zu sein war ihr nicht mehr wichtig. Sie war so voll und demütig über all das, was in ihrem Inneren geschah. Es war einem gigantischem Feuerwerk ähnlich, aber jedes Wort es zu beschreiben, war zu wenig und so versuchte sie es erst gar nicht.
Und die Zeit verstrich, schneller als es ihr und dem Riesen lieb war und es wurde Zeit sich auf den Rückweg zu machen.
Mila, was denkst du? Sollen wir diesen unbezwingbaren Berg jetzt wieder in einem Baum verwandeln, der leicht herabzuklettern ist? Es ist ja unsere Geschichte und wir können aus ihr machen, was wir möchten!“ Dabei lächelte er Mila so zärtlich an und wurde wieder zu dem Mann, der nie sprach…er nahm wieder seine alte Statur an und musste sich nur ein kleines bisschen beugen, um in ihre immer noch so staunenden Augen zu schauen. Sie nickte und lächelte in einer Zufriedenheit zurück, die den alten Mann so sehr berührte, dass er sie einfach in die Arme nehmen musste und sie fest an sich heran drückte. Der Berg wurde zu dem Baum, der er war, mit starken Ästen und es viel kein bisschen schwer, von der Baumkrone auf den Boden zu gelangen, dort wo die Wurzeln und die Erde sich verbanden.
So nahm der Mann, der nie sprach Mila bei der Hand und sie gingen wortlos zurück ins Dorf. Das kleine Mädchen drehte sich immer noch einmal um und sah, wie die untergehende Sonne ihr Lichtspiel mit dem Baum spielte.
Der Mann, der niemals sprach brachte Mila vor ihr Haus, umarmte sie innig, schaute ihr noch einmal tief in ihre Augen und sie sah wieder diese frische Gebirgsquelle in ihnen, in der sie sich spiegelte. Sie lächelten beide und es war ein leuchten um sie herum, das man denken konnte, sie hätten eine Fackel gehalten.
Mila‘s Mutter hatte ein wundervolles Abendessen gekocht und da merkte sie erst, dass sie den ganzen Tag nichts gegessen und getrunken hatte. Sie nahm den Becher Wasser vor sich und leerte ihn in einem Zug aus, dass sie dabei nicht mal atmen konnte und bat ihre Mutter, noch einmal den Becher zu füllen! Sie nahm den Löffel in die Hand und aß hastig und doch genoss sie jeden Happen. Ihre Mutter wollte wissen, wo sie denn den ganzen Tag gewesen war. Und Mila erzählte ihr ihre Geschichte, lies nichts aus und fügte nichts hinzu. Mila‘s Mama schmunzelte, schaute liebevoll auf ihre kleine Tochter, strich ihr durch ihr Haar und sagte nur: „Na das war aber ein Abenteuer heute!“ Glauben konnte sie es nicht, denn der Mann, der niemals sprach, konnte ja gar nicht mit ihr gesprochen haben und außerdem war er die ganze Zeit unter einem Baum im Dorf gesessen, mit seinem sonderbaren Lächeln.
Sie war so müde, jetzt wo sie satt war und so brachte sie ihre Mutter ins Bett, deckte sie warm zu, küsste sie auf die Stirn und flüsterte leise: „Gute Nacht meine kleine Mila und hab schöne Träume“, lächelte sie an und beim verlassen des Zimmers sagte sie noch leiser: „Ich hab dich lieb“ Mila nickte, denn zum reden war sie zu müde und schlief mit einem glücklichen Lächeln ein.
Ein Traum? Die Wahrheit? Wer weiß das schon. Und doch spricht diese Geschichte die Wahrheit! Denn was immer wir erleben, wenn wir vertrauensvoll unseren Weg gehen, werden wir geführt, gibt es eine Hand, die uns hält, eine stille Stimme, die uns leitet und uns Mut macht, denn das Ziel ist niemals weit entfernt, wenn wir bereit sind die Geschichte mit einem guten Ausgang sehen zu wollen. Kinderaugen sprechen die Wahrheit, die wir längst verloren haben, wenn wir scheinbar Erwachsen geworden sind. Wir sind große Kinder, die das Spielen verlernt haben. Aber wir haben zuverlässige Lehrer unter uns….unsere Kinder, die noch mit ihrem Herzen und damit mit der Liebe zum Leben verbunden sind!
Von ganzem Herzen für die geschrieben, die ein Kind als Lehrer annehmen wollen, um wieder zu lernen, was sie in Wirklichkeit immer schon waren!

2 Gedanken zu „Der Mann, der niemals sprach“

  1. Ganz, ganz wunderbar 💞
    Einen so weisen und gütigen Vater oder Großvater zu haben, das wäre großes Glück….
    💞 Tiefen Dank für diese wundersame wunderbare Geschichte.
    Ursula Juretzka

    1. Danke dir von Herzen, liebe Ursula! Wir waren lange genug nicht weise, weil wir nicht nach Innen gelauscht haben! Die Weisheit kommt in uns allen zurück, sobald wir wieder unserer inneren Stimme vertrauen lernen! Und diese Geschichte erinnert uns daran, nach Innen zu hören! Herzlichst Nicola

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